Krippen von Berta Krals
Zunächst soll Berta Kals kurz vorgestellt werden:
Und was wäre, wenn Jesus in unseren Jahrzehnten und unserem Europa noch einmal Menschengestalt annähme? Wo würde dann heute wohl seine Krippe stehen? In der Penthaus- oder der Sozialwohnung? Im Prominentenviertel oder in der Arbeitervorstadt?
Es gibt nur wenige Krippenkünstler, die sich mit diesen Gedanken beschäftigen. Anders Berta Kals. Nach christlicher Glaubensüberzeugung ist der auferstandene Christus immer bei uns und teilt unseren Alltag. Viele Generationen haben gelernt, sich in kritischen Lebenssituationen zu fragen: Was würde Jesus dazu sagen? Wie würde er sich an meiner Stelle verhalten? In was für eine Welt würde der Friedensfürst hineingeboren? Solche Fragen sind der Schlüssel zu den Krippen von Berta Kals. Sie hat die Krippe und die Weihnachtsgeschichte aus dem Klischee des Niedlichen und Nostalgischen gelöst und sie mit unserer Wirklichkeit konfrontiert. Ihre modernen Krippen erzählen nicht nur die Weihnachtsgeschichte, sondern übersetzen sie in unsere Alltagswirklichkeit und deuten sie. Darstellungen, die sich mit unkonventionell eingesetzten, traditionellen Zitaten um die Aktualisierung der Weihnachtsbotschaft bemühen.
Vor gut 15 Jahren hörte die Künstlerin im Fernsehen auf dem Höhepunkt des kalten Krieges einen Experten über die neuesten Schätzzahlen des „Overkills" sprechen. Zahlen, eingestreut ins alltägliche Einerlei, zwischen der Werbung für das weißeste Weiß aller Zeiten und dem Tabellenstand der Oberliga das apokalyptische Grauen. „Schätzungsweise dreißigmal können die Menschen sich jetzt umbringen, und immer noch haben sie nicht genug. Welche Ironie steht doch hinter solchen Vernichtungsmeldungen, als ob die Sicherheit eines Geschöpfes dadurch größer würde, dass es sich und die ‚Brüder jenseits des Flusses‘ einmal, zwei- oder dreißigmal sterben lassen kann." Eine Vorstellung, die der Mutter von drei erwachsenen Kindern absurd erscheint und nachhaltig erschüttert. „Da sitze ich, modelliere Engelchen, die lustig musizieren und vom Frieden auf Erden singen. Und gleichzeitig bereiten die Bewohner dieser schönen Erde sich milliardenfachen Tod. Was würde Jesus wohl zu dieser ‚Verteidigung‘ sagen?"
Mit ihren Mitteln möchte Berta Kals, die viele Bombennächte erlebt und viel Elend gesehen hat, warnen. Die in dem Eifelort Steckenborn geborene wertkonservative Katholikin betont: „Ich bin keine politische Frau, ich sehe das vom christlichen Standpunkt aus." Aber sie hat Mut zu unkonventionellen Ideen und tut etwas. Sie setzt sich an den Küchentisch und schafft zeitkritische Krippen. In ihrem Brennofen glühte bei 900° C die „Raketenkrippe", für jeden der dreißig Weltuntergänge hat sie eine Rakete aus Ton modelliert, die das Jesuskind bedroht, das sich angstvoll verkrampft und die Augen zuhält. Die moralische und geistige Zerstörung unserer Welt, die das Gewaltdenken wechselseitiger Abschreckung angerichtet hat, wird durch das Trümmergestein ausgedrückt, auf dem das weinende Kind liegt. Es folgen Krippen zum Problem des Nord-Süd-Gefälles, zur Gefährdung der ökologischen Umwelt, eine „Krippe im Slum" oder die „verweltlichte Weihnacht", die das zarte Kind unter einem Geschenkberg begräbt. Rund 50 aktuelle Krippen sind entstanden. Darstellungen, die mahnen, aber keine Hoffnungslosigkeit ausstrahlen, denn da sind immer wieder die Kinder, die den Erwachsenen beispielhaft zeigen, was es heißt, friedvoll in einer Welt miteinander zu leben.
Anfangs war Frau Kals Ehemann skeptisch: Solche Krippen stellt doch keiner auf. Dafür ist die Öffentlichkeit noch nicht reif. „Dann muss man eben mithelfen, sie reif zu machen", beharrte sie damals. Sie sollte recht behalten. Heute reisen die im bescheidenen „Küchenatelier" entstandenen Tonkrippen um die Welt, sind in den USA, Südamerika, Afrika und in fast allen europäischen Ländern zu sehen. Sie stehen in der Kathedrale von Conventry und in mehreren Museen. Sie werden in Kirchen gezeigt, dienen als Kristallisationspunkt in Gottesdiensten und ökumenischen Begegnungen. Sie haben Preise bekommen, darunter den Preis für Berufskünstler vom Bischof von Lüttich auf der Krippana und den „Bischof-Heinrich-Tenhumberg-Preis für vorbildliches Krippenschaffen".
Die Symbolik einer scheinbar naiven, doch zuletzt mitreißenden Hoffnungsfähigkeit löst kontroverse und leidenschaftliche Diskussionen aus. Manche der Visionen in Ton haben sich erfüllt. So die beiden 1982 modellierten „kalten Krieger" der „Entscheidungskrippe", ein amerikanischer und russischer Soldat, die Arm in Arm zur Krippe kommen und im Helm gemeinsam eine Friedenstaube tragen. Das Wort von der frommen Erbauung der Christen bekommt eine neue Bedeutung. Friede auf Erden all denen verheißen, die guten Willen haben. Das kann in unseren Tagen geschehen. Berta Kals hat einen neuen „Ton" angeschlagen. Sie glaubt: „Weihnachten als Geburtsstunde des Christentums könnte Anstoß sein, einen neuen Anfang zu wagen".
Heide Muth
Literatur: Ursula Kals, Anne-Marie Nagel: Mitten ins Herz gepredigt. Freude an Krippen. Aachen 1995